Mit der Planstadt Chandigarh in Indien lies Le Corbusier (Charles-Édouard Jeanneret-Gris) ab 1951 seine städtebauliche modernistische Utopie Wirklichkeit werden. Seine Vision war der Bau einer modernen, humanen und gerechten Stadt, nach dem «Mass des Menschen» erbaut. Gemeinsam mit Le Corbusier war auch sein Cousin (zweiten Grades), der Schweizer Architekt und Designer Pierre Jeanneret, am Megaprojekt Chandigarh beteiligt.
Während Le Corbusier sich der Stadtplanung und der Architektur widmete, gestaltete sein Cousin Pierre Jeanneret die Möblierung der Verwaltungsgebäude. Wichtig für Jeanneret waren hierbei die Einbeziehung lokaler Handwerker sowie die Verwendung einheimischer Hölzer, die dem örtlichen Klima länger standhalten würden. Cassina hat vier dieser Entwürfe von Pierre Jeanneret für Chandigarh in einer Reedition wiederaufleben lassen.
Die Planstadt Chandigarh
Chandigarh war das zweite grosse städtebauliche Projekt im 20. Jahrhundert nach Brasiliens Hauptstadt Brasília. Nach der Unabhängigkeit und Trennung von Indien und Pakistan 1947 benötigte der indische Teilstaat Punjab eine neue Hauptstadt. Der damalige Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru empfahl für die Planung Le Corbusier. Für diesen bot das Projekt eine einmalige Gelegenheit dar, seine städtebaulichen Theorien in der Realität zu testen. Das Chandigarh-Projekt gilt als das reifste Werk von Le Corbusier, das seine Poetik, Technik und Ideologie vereint.
In Chandigarh strebte Le Corbusier die Umsetzung seiner Theorie der Entflechtung der vier städtischen Funktionen Wohnen, Arbeiten, Erholung, und Verkehr an. Das Zentrum der Stadt bildet das Regierungsviertel mit den wichtigsten öffentlichen Gebäuden, dem Capitol Complex. Die Aufnahme in die Unesco-Welterbeliste im Jahre 2016 hat grosses Interesse am Capitol Complex von Le Corbusier erweckt: ein ausserordentliches architektonisches Werk, das verwirklicht wurde, um die Unabhängigkeit einer Nation zu zelebrieren, die sich gegenüber der Moderne öffnet.
Pierre Jeanneret
Pierre Jeanneret (1896–1967) war ein Schweizer Architekt und Designer. Gemeinsam mit seinem berühmten Cousin Le Corbusier führte er in Paris ab 1922 ein Architekturbüro. Zusammen entwarfen sie die bedeutendsten Bauten des 20. Jahrhunderts, wie etwa die Villa Savoye oder die Villa Roche in Paris. 1927 schlossen sie sich mit der Architektin Charlotte Perriand zusammen: Gemeinsam entwarfen sie Designklassiker, darunter die ikonische LC4 Liege.
Die Zusammenarbeit der beiden Cousins endete mit dem 2. Weltkrieg, als Le Corbusier dem Vichy-Regime und Pierre der Résistance näherstanden. 1951 kamen sie wieder zusammen, um die Planstadt Chandigarh in Indien zu erbauen. Während Le Corbusier nicht lange in Indien blieb, lebte Pierre Jeanneret während 15 Jahren in Chandigarh. Er war vor Ort für die Realisierung des Generalbebauungsplans verantwortlich und wurde zum Direktor der Architekturschule von Chandigarh ernannt.
Pierre Jeanneret und Le Corbusier in Chandigarh, ca. 1950–57
Cassina: Hommage à Pierre Jeanneret
Mit der Unterstützung der Fondation Le Corbusier, dem Zugang zu ihren Archiven und im Einvernehmen mit den Erben von Pierre Jeanneret begann Cassina mit der Herstellung von Modellen, die von Pierre Jeanneret inspiriert waren. Mit dem grössten Respekt vor der Authentizität stellt Cassina sicher, dass diese Produkte immer von lokalen Handwerkern hergestellt und mit unterschiedlichen Details reproduziert werden.
Die Kollektion Hommage à Pierre Jeanneret, die in Cassina‘s eigner Tischlerei in Meda hergestellt wird, umfasst den Tisch Capitol Complex Table, den Stuhl Capitol Complex Office Chair mit Armlehnen, den Stuhl Capitol Complex Chair, den Sessel Capitol Complex Armchair sowie seit neuestem auch die Bank Civil Bench sowie den Sessel Kangaroo. Die Kollektion zeichnet sich durch das Wiener Geflecht, die Holzrahmenkonstruktion sowie durch die Verwendung von Teakholz aus, was dem Ursprungsentwurf entspricht. Neben der ursprünglichen Teak-Ausführung bietet Cassina zwei weitere Versionen mit Eiche Natur und Eiche schwarz gebeizt an.
Cassina, Pierre Jeanneret
Sessel Kangaroo
Ein Designer-Sessel, der sich durch seine essentiellen Formen und die schlichten Materialien auszeichnet und die modernen Ideale Europas harmonisch mit dem Geist der indischen Tradition verbindet. Der Sessel, der für Chandigarhs General Hospital Hall entworfen wurde und in vielen Privathäusern der indischen Stadt wiederzufinden ist, weist charakteristische «Z»-förmige Seiten auf. Die Seiten des Sessels bestehen aus einer Folge von drei angeordneten Elementen, die den Buchstaben «Z» bilden.
Cassina, Pierre Jeanneret
Civil Bench
Diese Bank wurde zwischen 1955 und 1956 für die Unterbringung und für die Wohnungen der Mitglieder der gesetzgebenden Chandigarh-Versammlung entworfen. Die Civil Bench besteht aus drei aufeinanderfolgenden Sitzen, die von einem einzigen Querstück vorne getragen werden, und zwei seitlichen Stützen, die in der charakteristischen Form eines umgekehrten «V» positioniert sind.
Cassina, Pierre Jeanneret
Dieser Stuhl mit Armlehnen, eines der bekanntesten Modelle aus Chandigarhs Capitol Complex, wurde in verschiedenen Verwaltungsbüros des Sekretariats untergebracht. Die unabhängigen Massivholzstücke, einschließlich der Seitenwangen, die in Form eines umgekehrten «V» positioniert sind, laufen zusammen, um die Armlehne zu stützen.
Cassina, Pierre Jeanneret
Genau wie der bekanntere Office Chair verwendet auch der Stuhl ohne Armlehnen die «V»-förmigen Auflagen, die in diesem Fall kürzer sind, weil sich sich nicht bis hin zur Armlehne erstrecken. Bei diesem Stuhl hat die Sequenz Sitzfläche-Rückenlehne aus Wiener Stroh Priorität; diese verlaufen kontinuierlich und werden durch zwei Profile aus Holz mit massivem geometrischem Querschnitt vereint. Diese Elemente strukturieren mit den komplanaren Beinen ein Gesamtbild, das mächtig und gleichzeitig schlicht ist.
Cassina, Pierre Jeanneret
Der Oberster Gerichtshof bildete zusammen mit dem Sekretariat und dem Versammlungs-Gebäude den Gründungskern des Chandigarh Capitol Complex. Hier waren die Räume mit bequemen Sesseln mit starker Polsterung ausgestattet, die die gleiche kompositorische Struktur der Möbel hatten, die durch die V-förmige Struktur gekennzeichnet war. DerCapitol Complex Armchair bietet ein angenehmes Gefühl von Komfort, ohne seine Eleganz und Einfachheit zu verlieren.
Cassina, Pierre Jeanneret
Capitol Complex Table
Wie viele Gegenstände, die sich im Capitol Complex befinden, bringt auch dieser rechteckige Tisch die bedeutende Rolle zum Ausdruck, die Pierre Jeanneret bei der Planung der Inneneinrichtung gemeinsam mit Le Corbusier und Charlotte Perriand gespielt hat. Der Tisch erinnert an die feierlichen Aktivitäten dieses Ortes und hat zwei wichtige grafische Elemente mit einer charakteristischen «cornes entrecroisées»-Form aus massivem Holz für das Gestell.
FILMTIPP
Kraft der Utopie
Film by Karin Bucher & Thomas Karrer, 2023, 84 Min.
Kurz nach der Teilung Indiens und der Befreiung aus der Kolonialherrschaft Englands soll am Fusse des Himalayas aus dem Nichts eine neue Hauptstadt für den Punjab gebaut werden. Die Planstadt Chandigarh steht für die neue Demokratie, den Fortschritt und den Glauben an die Zukunft. Engagiert wurden Architekten aus dem Westen. Zuerst Albert Mayer, dann der schweizerisch-französische Architekt Le Corbusier. Absichten, Visionen und Utopien kamen zusammen. Für Le Corbusier bot Chandigarh die einmalige Gelegenheit, sein Lebenswerk zu vollenden und seine städtebaulichen Ideen umzusetzen. Seine Vision war die einer modernen, humanen und gerechten Stadt, nach dem «Mass des Menschen» erbaut, die ein kulturelles Leben und ein harmonisches Zusammenspiel von Mensch und Natur ermöglichte.
Zum 70-jährigen Bestehen der Planstadt von Le Corbusier fragen wir nach, ob in Chandigarh diese Vision Realität geworden ist. Der Film begleitet Menschen auf ihren Wegen durch die Stadt und sucht Orte und Schauplätze auf, an denen sich das schillernde Zusammenspiel von altem Traum und neuem Leben, von Utopie und Alltag, von Zerfall und leiser Poesie zeigen. Ein Zeitzeuge erinnert sich an die Gründerzeit. Die Direktorin des Le Corbusier Centers, ein Künstler, ein Schauspieler und ein Architekt erzählen vom Wagnis, sich hier niederzulassen und reflektieren ihr Leben in und mit Chandigarh. Auf Streifzügen treffen wir Bewohner:innen, die unseren Blick auf die Stadt erweitern und tauchen in das alltägliche Leben ein, welches sich die baulichen Strukturen zu eigen gemacht hat.
Quelle: kraftderutopie.ch